6. Oktober 2022

Frühzeitige Erdbebenwarnung dank Künstlicher Intelligenz

Ein deutlich verbessertes Modell für eine frühere Erkennung von Erdbeben beschreibt eine Arbeitsgruppe am Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) in zwei aktuellen Veröffentlichungen. Es präzisiert und beschleunigt die zuverlässige Einschätzung von Beben, was insbesondere Vorwarnungen in weniger entwickelten Weltregionen erleichtert.

Grundlage des auf Deep Learning basierenden Modells des Teams um Nishtha Srivastava sind Schwingungen, die – verglichen mit den nachfolgenden, verheerenderen Wellen  - besonders schnell über die Erdschichten übertragen werden. Diese P-Wellen (Primärwellen) eilen den eigentlichen Erschütterungen voraus – je nach Entfernung von der Quelle des Bebens um Sekunden oder Minuten. „Dieser kurze Zeitvorsprung kann reichen, um sich in Sicherheit zu bringen“, betont Srivastava. Die nachfolgenden Sekundär(S-) und Oberflächenwellen sind höher, gefährlicher und verursachen größere Schäden.

Das von den Wissenschaftler:innen entwickelten Convolutional Recurrent Model for Earthquake Identification and Magnitude Estimation (CREIME) erfüllt drei Aufgaben: Es erkennt die frühen P-Wellen, kann Hintergrundschwingungen unterscheiden und sogar die Stärke des folgenden Bebens vorhersagen. „Bisher ist für eine zuverlässige Vorhersage ein Netzwerk von Messstationen notwendig“, erklärt Megha Chakraborty (25), FIAS-Doktorandin und Erstautorin beider Publikationen. „Für unser Modell reicht eine Station, um vor Erdbeben in einer Entfernung von etwa 350 Kilometern zu warnen“. Bestehende Methoden erfordern oft ein hohes Maß an Personalaufwand und Erfahrung. Zudem sind sie sehr empfindlich gegenüber Hintergrundschwingungen. CREIME differenziert zwischen seismischen Ereignissen und Störungen mit einer durchschnittlichen Genauigkeit von 98 Prozent. 

CREIME liefert innerhalb von zwei Sekunden nach dem Eintreffen der ersten P-Welle eine erste Schätzung der Erdbebenstärke. Das zeigen die Autor:innen mit zwei unabhängigen Datensätzen aus Italien und der ganzen Welt. „Unsere Vorhersagegenauigkeit übertrifft klassische Modelle, da CREIME zehn Prozent mehr Ereignisse erkennt“, so Srivastava. Mit einem Deep-Learning-Ansatz lernt das System zudem ständig hinzu. Ein weiteres System, PolarCAP, identifiziert automatisch die vertikale Richtung der ersten Bewegung während eines Erdbebens, was für die Einschätzung des zugrundeliegenden Bebens wichtig ist.

Das Team will die CREIME- und PolarCAP-Prototypen nun in Echtzeit testen. "In Regionen wie Südkalifornien oder Indonesien, wo die Epizentren sehr nahe an menschlichen Siedlungen liegen, könnte eine App, die auf unserem Modell basiert, die Menschen in Zukunft früh genug warnen, damit sie Schutz suchen können", hofft Chakraborty.


Publikationen:

  • Chakraborty, M., Fenner, D., Li, W., Faber, J., Zhou, K., Rümpker, G., et al. (2022). CREIME—A Convolutional Recurrent model for Earthquake Identification and Magnitude Estimation. Journal of Geophysical Research: Solid Earth, 127, e2022JB024595. https://doi.org/10.1029/2022JB024595
  • Megha Chakraborty, Claudia Quinteros Cartaya, Wei Li, Johannes Faber, Georg Rümpker, Horst Stoecker, Nishtha Srivastava, PolarCAP – A deep learning approach for first motion polarity classification of earthquake waveforms, Artificial Intelligence in Geosciences (2022) 3, 46-52, ISSN 2666-5441, https://doi.org/10.1016/j.aiig.2022.08.001

Bild/GIF: Das CREIME-Modell verarbeitet 5-Sekunden-Fenster, um ein Erdbeben zu erkennen. Innerhalb von Sekunden nach dem Eintreffen der P-Welle gibt es eine Warnung aus, damit gefährdete Personen rechtzeitig Schutz suchen können, bevor die gefährlichen S-/Oberflächenwellen eintreffen. Hier als Comic (GIF-Datei) dargestellt von Megha Chakraborty, FIAS

CREIME