27. September 2018

Konkurrenzkampf zwischen Synapsen

Werden die Ressourcen knapp, kommt es zum Konkurrenzkampf zwischen benachbarten Synapsen, sagen Frankfurter Neurowissenschaftler

FRANKFURT. Wie interagieren benachbarte Synapsen beim Lernen? Frankfurter Wissenschaftler haben ein neues mathematisches Modell vorgeschlagen, das einen Konkurrenzkampf von benachbarten Synapsen um begrenzte Ressourcen beim Lernen beschreibt. Das berichten die Forscher in der aktuellen Ausgabe von eLife.

Synapsen spielen eine Schlüsselrolle bei der Kommunikation zwischen Nervenzellen im Gehirn. An Synapsen werden Signale von einem Neuron zum anderen übertragen. Dies geschieht zumeist dadurch, dass das sendende Neuron einen chemischen Botenstoff, einen sogenannten Neurotransmitter, ausschüttet. Dieser dockt an bestimmte Rezeptoren im empfangenden Neuron, woraufhin dort ein elektrisches Signal ausgelöst wird. Die Stärke dieses elektrischen Signals wird v.a. durch die Anzahl der Neurotransmitter-Rezeptoren auf der Seite des empfangenden Neurons bestimmt. Ein Neuron hat typischerweise tausende solcher Synapsen, über die es Signale von tausenden von Neuronen empfängt. Forscher nehmen an, dass das Muster der Stärken dieser Synapsen das physiologische Substrat unserer gespeicherten Erinnerungen ist und dass bei Lernprozessen diese Synapsenstärken angepasst werden. Dies geschieht dadurch, dass sich die Anzahl der Rezeptoren in der Synapse beim Lernen nachhaltig verändert.

In den letzten Jahren haben Forscher jedoch die überraschende Entdeckung gemacht, dass das Verhalten dieser Rezeptoren hoch dynamisch ist. Anstatt lange in einer Synapse zu verweilen, wandern die Rezeptoren ständig rein und raus, selbst wenn gerade kein Lernprozess stattfindet. Mitunter halten sie sich dabei nur einige Sekunden in einer Synapse auf. Wie wirkt sich dieses dynamische Verhalten auf die Funktion von Synapsen aus? Wie beeinflusst es Lernprozesse? Und warum können wir uns trotzdem an einige Fakten oder Erlebnisse über Jahre hinweg erinnern? Um diesen Fragen nachzugehen, haben Prof. Jochen Triesch vom Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) und Dr. Anne-Sophie Hafner vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung (MPIH) in Frankfurt zusammen mit Anh Duong Vo, einer Mathematik- und Informatik-Studentin an der Goethe-Universität Frankfurt ein neues mathematisches Modell entwickelt. 

Das Modell beschreibt eine Gruppe benachbarter Synapsen eines Neurons, in denen Neurotransmitter-Rezeptoren an dafür vorgesehene stabile Ankerplätze andocken können. Zusätzlich zu den Rezeptoren in den Synapsen gibt es einen Vorrat von Rezeptoren, die sich an der Oberfläche des Neurons frei zwischen den Synapsen bewegen können. Dieser Vorrat wird durch das Hinzufügen und Abbauen von Rezeptoren ständig erneuert. Durch eine detaillierte mathematische Analyse dieses abstrakten Modells konnten die Wissenschaftler nun eine Reihe von bekannten Effekten erklären und einige neue Vorhersagen machen. So konnten die Forscher zeigen, dass im Fall einer Verknappung des Rezeptorvorrats ein regelrechter Konkurrenzkampf benachbarter Synapsen um die verbleibenden Rezeptoren entbrennt. Dies hat interessante Auswirkungen auf das Lernen. Wenn eine Synapse wächst und mehr Ankerplätze schafft, die dann weitere Rezeptoren an sich binden, dann tut sie das auf Kosten anderer Synapsen. Dieser Effekt ist jedoch nur vorübergehend, so dass das Lernen eines neuen Gedächtnisinhalts nicht automatisch das Vergessen eines anderen bedeuten muss. 

Die ständige Bewegung der Rezeptoren zwischen den Synapsen führt im Modell auch dazu, dass die Stärken der Synapsen unentwegt schwanken. Interessanterweise sind starke Synapsen, die bei der Informationsverarbeitung vermutlich eine dominierende Rolle spielen, dabei kleineren relativen Schwankungen unterworfen als schwache Synapsen. Die stärksten und wichtigsten Synapsen funktionieren laut des Modells also auch mit der größten Präzision, was ebenfalls für die langfristige Informationsspeicherung von Vorteil ist. „Diese und andere Vorhersagen des Modells sollten nun dringend in neuen Experimenten überprüft werden“, erläutert Prof. Triesch. Langfristig könnte das neue Modell dabei helfen, die Mechanismen von Hirnerkrankungen wie Alzheimer besser zu verstehen, die durch Funktionsstörungen an Synapsen charakterisiert sind. 

Weitere Informationen und Kontakt:

Kontakt: Prof. Dr. Jochen Triesch, Frankfurt Institute for Advanced Studies und Fachbereich Physik und Fachbereich Informatik und Mathematik, Goethe-Universität Frankfurt, Campus Riedberg, Tel. 069 798 47531, triesch_at_fias.uni-frankfurt.de.

Publikation: Triesch, J., Vo, A.D., Hafner, A.-S. (2018). Competition for synaptic building blocks shapes synaptic plasticity. eLife 7:e37836.  

eLife ist eine Open-Access-Zeitschrift, die vielversprechende Forschungsergebnisse in den Bereichen Life Sciences und Biomedizin veröffentlicht.

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Benachbarte Synapsen einer Nervenzelle konkurrieren um Rezeptoren
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