4. März 2019
Vorbild Gehirn
Buch Cognitive Computing im Springerverlag erschienen
Mit seinem Artikel "Vorbild Gehirn – Randbedingungen für eine kognitive Architektur" hat FIAS Senior Fellow Christoph von der Malsburg ein Kapitel zum kürzlich im Springer Verlag erschienenen Buch "Cognitive Computing - Theorie, Technik und Praxis" beigetragen.
Mit diesem Buch führen die Herausgeber den Begriff „Cognitive Computing“ ein. Unter Cognitive Computing werden verschiedene Technologieansätze wie künstliche neuronale Netze, Fuzzy-Systeme und evolutionäres Rechnen zusammengefasst mit dem Ziel, die kognitiven Fähigkeiten eines Menschen (Denken, Lernen, Schlussfolgern etc.) mithilfe von Computermodellen zu simulieren. Nebst den theoretischen Grundlagen widmet sich das Herausgeberwerk der Vielfalt verschiedener Anwendungsmöglichkeiten und zeigt erste Erfahrungen aus Pionierprojekten. Das Buch richtet sich gleichermaßen an Studierende, Fachleute aller Fachrichtungen sowie den interessierten Anwender. Es hilft dem Leser, die Bedeutungsvielfalt des Begriffs Cognitive Computing zu verstehen und verschiedene Einsatzmöglichkeiten im eigenen Umfeld zu erkennen und zu bewerten.
Ein Auszug aus dem Artikel von Christoph von der Malsburg:
"Zunächst seien die Bedingungen betrachtet, unter denen der Geist im Kind entsteht. Unser Organismus samt Gehirn wird auf der Basis von einem Gigabyte genetischer Information erzeugt. Die Umgebung unserer Kleinkinder, die wir mit Bedacht einfach und stabil gestalten, könnte als Virtual Reality mit Hilfe eines Programms vom Umfang einiger Gigabyte (siehe zum Beispiel Crytek 2017) simuliert werden. Und nach zwei oder drei Jahren repräsentiert das Kind in seinem Gehirn die Realität der unmittelbaren Umgebung, es bewegt sich darin und handelt, spricht, unterhält komplexe soziale Wechselwirkungen und hat die Fähigkeit, nach Inspektion einmaliger Beispiele neue Objekte oder Vorgänge desselben Typs trotz grosser Variation in Detail und Perspektive zu erkennen. Ab vier oder fünf Jahren kann das Kind Situationen in ihrer Gesamtheit aufnehmen und über Tage oder gar Jahrzehnte erinnern. Es scheint, dass das Kind zu diesem Zeitpunkt dann eine innere Sprache zur Verfügung hat, mit der es die Essenz von Situationen ausdrücken und festhalten kann.
Alle Eltern wissen zudem, dass Kinder nicht als tabula rasa auf die Welt kommen, sondern Antriebe, Präferenzen und einen Willen haben, welche sie im Laufe des Aufwachsens in ihrem konkreten Umfeld mit Substanz füllen. Es gibt eine umfangreiche Literatur im Bereich der Kleinkindpsychologie oder der Verhaltensforschung (siehe zum Beispiel McFarland 1999), die dieses Repertoire von Antrieben in grossem Detail beschreibt. Das Besondere daran ist, dass die Evolution in uns die einzelnen Verhaltensmuster in sehr abstrakter Form angelegt hat. Verhaltensforscher und Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang von Schemata, die gerade so viel Struktur enthalten um in wirklichen Situationen ausgelo ̈st werden zu ko ̈nnen, daru ̈berhinaus aber kein Detail, das ihnen relevante Situationen verschliessen wu ̈rde. Diese Art des Antriebs durch ein Repertoire generischer Verhaltensmuster ist die Grundlage des autonomen Verhaltens von Tier und Mensch und unterscheidet diese von aller bisherigen künstlichen Intelligenz, die durch viel zu spezifische Zielsetzungen eingeengt ist.
Um allein die Schaltung des menschlichen Gehirns in Form einer Liste aller Verbindungen zwischen Neuronen zu beschreiben braucht es ein Petabyte, was eine Million mal mehr ist, als der Informationsgehalt von Genom und kindlicher Umwelt. Wie kann ein so komplexes Gebilde durch so wenig Information erzeugt werden? Der richtige Informationsbegriff ist der von Kolmogorov, siehe (Li and Vitányi 2008): Der Informationsgehalt einer Struktur ist gleich der bit-Länge des kürzesten Algorithmus, durch den die Struktur erzeugt werden kann. Der relevante Algorithmus für das Gehirn ist der ontogenetische Mechanismus. Seit einigen Jahrzehnten gibt es eine Vielzahl von experimentellen und theoretischen Untersuchungen zur genetischen Steuerung der Herstellung spezifischer Schaltungsmuster (Goodhill 2007; von der Malsburg 1973, 1979; Grabska-Barwinska and von der Malsburg 2008). Der dabei entdeckte zentrale Mechanismus wird als Netzwerk-Selbstorganisation bezeichnet. Das Wesentliche dabei ist, dass die Menge der entstehenden Struktur-Information nicht durch die Menge der genetischen Information begrenzt ist."
Den kompletten Artikel finden Sie im Buch:
Edition Informatik Spektrum © 2020
Cognitive Computing
Theorie, Technik und Praxis
Herausgeber: Portmann, Edy, D’Onofrio, Sara (Hrsg.)