4. Juni 2020
9 Fragen an Maria Barbarossa
"Biologische Fragestellungen sind so komplex, dass sie neue mathematische Ansätze inspirieren"
Maria Barbarossa ist seit Mai FIAS-Fellow und Forschungsgruppenleiterin im Rahmen des Loewe-Schwerpunkts CMMS (Center for Multiscale Modelling in Life Sciences). Ihre Arbeit widmet sich der Entwicklung mathematischer Modelle und Methoden zum Verständnis von Multiskalenprozessen in der Immunologie und der Dynamik von Epidemien. Im Interview spricht sie über ihren Werdegang und ihre aktuelle Forschung zur Corona Epidemie.
Sie sind von Haus aus Mathematikerin. Wie sind sie dazu gekommen ein doch eher biologisches Thema zu erforschen?
Ich habe mich in meinem Studium an der TU München mit Anwendungen der Mathematik, insbesondere in der Biologie, beschäftigt. In dieser Zeit hatte ich auch zum ersten Mal mit Biologen und Biochemikern des Helmholtz Zentrums München Kontakt bzw. Kooperationen in Forschungsprojekten. Ich finde die Interdisziplinarität meiner Arbeit und die Idee, durch Mathematik die Lebenswissenschaften zu untersuchen, faszinierend. Biologische Fragestellungen sind so komplex, dass sie neue mathematische Ansätze inspirieren – oft können diese den Weg für neue Ergebnisse eröffnen.
Haben Sie sich seit Ihrer Zeit in München mit der Ausbreitung von Epidemien beschäftigt?
Nicht ganz. In München habe ich vor allem an der Modellierung von Quorum Sensing, also der Kommunikation zwischen Bakterien, gearbeitet. Mein Promotionsthema war nicht datenbezogen - da habe ich mich mit den Eigenschaften einer besonderern Klassen von Differentialgleichungen (Delay Gleichungen) beschäftigt, die könnten Anwendungen in der Populationsdynamik finden. Nach meiner Promotion bin ich nach Ungarn gegangen, ans Bolyai-Institut der Universität Szeged, wo eine Gruppe um Gergely Röst an der Kopplung zwischen der Theorie von Delay Gleichungen und der Modellierung der Ausbreitung von infektiösen Krankheiten arbeitet. Ich habe mich insbesondere mit der Ausbreitungsdynamik von Krankheiten, die keine lebenslängliche Immunität gewähren, wie z.B. Pertussis (Keuchhusten), beschäftigt. Dann kam 2014 die Ebola Epidemie in Afrika. Mit der ungarischen Gruppe haben wir uns um die Modellierung der Auswirkung von Kontrollmaßnahmen gekümmert. Nachdem ich Ende 2015 an die Uni Heidelberg wechselte, hatte ich die Gelegenheit mich zusätzlich mit Themen aus der Immunologie zu beschäftigen – dort arbeitete ich an einem Projekt zu Früherkennung der Sepsis (Blutvergiftung). In diesem Kontext leite ich seit 2019 ein Projekt zur Beschreibung von biochemischen Regulationsnetzwerken in Immunzellen, welche durch Infektion und/oder Inflammation beeinflusst werden könnten.
Wann haben Sie angefangen sich mit der Ausbreitung des neuen Coronavirus zu beschäftigen?
Das SARS-CoV-2 hat die Aufmerksamkeit der mathematischen Community relativ früh geweckt. Erste Arbeiten für den chinesischen Ausbruch kamen schon Anfang Februar raus. Mit meiner Gruppe und Kollegen aus dem Forschungszentrum Jülich habe ich mich vor allem mit der deutschen Situation – tiefgehend – beschäftigt, als die Anzahl der Fälle in Deutschland rasch zunahm. Unsere ersten Ergebnisse kamen Ende März raus – und wir arbeiten noch heute sehr intensiv dran.
Was ist der Unterschied zu der bisherigen Forschung, z.B. über die Ausbreitung des Ebola Virus im Vergleich zur Forschung an Covid-19?
Bei Ebola haben wir unsere Studien eher retrospektiv durchgeführt, also als die Epidemie fast vorbei war und die Einführung der Kontrollmaßnahme rekonstruiert werden konnte. Wir haben in dem Fall die mögliche zweite Ebola-Welle vorhergesagt, die auch 2018 kam. Das Ebolavirus ist schon seit den siebziger Jahren bekannt und wird seitdem erforscht, vieles über die Eigenschaften des Virus ist daher heute bekannt. Im Fall von Covid-19 arbeiten wir eher „in real time“, also in Echtzeit. Wir verfolgen die Ausbreitung der Epidemie von Anfang an, versuchen durch numerische Simulationen die mögliche Einführung/Erhebung von Kontrollmaßnahmen in die Modelle einzubetten und deren Wirkung zu schätzen. Dabei haben wir mit dem SARS-CoV-2 (das Virus, das Covid verursacht), einem noch wenig bekannten Virus, zu tun. Wir müssen über das Virus und die Krankheit viel lernen. Zum Beispiel scheinen bei Covid-19 die asymptomatischen Krankheitsverläufe, also die Verläufe bei denen es kaum, oder gar keine Symptome gibt, eine wichtige Rolle für die Übertragung des Virus zu spielen.
Welche Faktoren muss man bei der Simulation von Epidemien berücksichtigen?
Jede Menge. Uns interessiert insbesondere die Ausbreitungsdynamik in der Bevölkerung, also wie schnell breitet sich ein Virus aus und wie könnte man diese Ausbreitung kontrollieren? Wir fragen uns z.B. auch, ob es wiederholte Ausbrüche geben könnte, oder nach welchen Kriterien man am besten impfen sollte. Die mathematischen Methoden, die wir anwenden, sind flexibel – die Fragen die wir beantworten wollen, sind dennoch spezifisch für ein bestimmtes Pathogen oder eine bestimmte Krankheit. Im Fall von Covid-19 scheint uns, z.B die Altersstruktur der Bevölkerung sehr wichtig zu sein. Es gibt außerdem geografische Faktoren (staatliche vs. ländliche Gebiete), aber vor allem das Verhalten der Bevölkerung bzw. die Sicherheitsvorkehrungen durch die Regierung, sind entscheidend um die Ausbreitungsgeschwindigkeit eines Virus zu bestimmen. Wir haben in unseren Simulationen mehrere Szenarios berücksichtigt die unterschiedlichen Annahmen darstellen und entsprechend Vorhersagen ermöglichen.
Wie genau sind diese Simulationen?
Auf kurze Zeit (2-3 Wochen in die Zukunft) sind unsere Prognosen ziemlich zuverlässig. Je weiter wir in die Zukunft schauen möchten, desto mehr spielen Unsicherheiten und dynamische Faktoren (z.B. Verhalten der Bevölkerung, Reaktion der Entscheidungsträger) eine Rolle. Deshalb verfolgen wir unsere Modelle und aktualisieren die Vorhersagen regelmäßig.
Wie ist es momentan sich beruflich mit Infektionskrankheiten zu beschäftigen? Wird man nicht davon überwältigt, wenn die eigene Arbeit plötzlich 24 Stunden präsent ist?
Spätestens, als das Virus mein Heimatland Italien so stark getroffen hat, war ich natürlich sehr bewegt. Aber das ist glaube ich kein Unterscheid zu Menschen, die nicht auf diesem Gebiet arbeiten. Momentan ist dieses Thema ja bei allen präsent und es beeinflusst das Arbeitsleben in allen Bereichen. An der Modellierung der Ausbreitung zu arbeiten, kann auch beruhigend sein – wir haben nämlich den Vorteil, dass wir durch unsere Simulationen auch ein wenig in die Zukunft blicken dürfen.
Seit Mai 2020 sind sie nun Fellow am FIAS. Was erhoffen Sie sich von der Arbeit hier?
Ich finde das FIAS eine wissenschaftlich sehr spannende Einrichtung und freue mich auf den Austausch mit den neuen Kollegen aus unterschiedlichen Fachrichtungen.
Was wird ihre Arbeit am FIAS umfassen?
Im Rahmen des Loewe-Schwerpunkts CMMS werde ich in meinem Unterprojekt mathematische Modelle und Methoden entwickeln, die zum Verständnis von Multiskalenprozessen in der Immunologie und der Dynamik von Infektionskrankheiten beitragen. Klar, Covid-19 hat im Augenblick Vorrang und bestimmt einen Großteil meiner Forschung, und daraus lassen sich ausgezeichnete Schlussfolgerungen für das CMMS-Projekt ziehen. Außerdem lässt sich das Thema sehr gut mit meinen Projekten zur Sepsisforschung verbinden. Denn auch wenn jede Infektion zu einer Blutvergiftung führen kann, scheinen Patienten mit einem schweren Krankheitsverlauf von COVID-19 besonders häufig eine Sepsis zu entwickeln.
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Weitere Informationen über Maria Barbarossa finden Sie auf ihrem Fellowprofil.
Mehr über das CMMS-Projekt finden Sie auf der Projektseite.
Mehr Informationen zur LOEWE-Initative des Landes Hessen finden Sie auf ProLoewe.de
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