10. Januar 2018
Wie schwer sind Neutronensterne?
Astrophysiker des FIAS und der Goethe-Universität finden neue Obergrenze für die Masse von Neutronensternen heraus: Sie darf nicht größer als 2,16 Sonnenmassen sein
FRANKFURT. Seit der Entdeckung von Neutronensternen in den 1960er Jahren fragen sich Wissenschaftler, wie schwer können diese massereichen Sterne werden? Im Unterschied zu schwarzen Löchern können sie nicht beliebig viel Masse zulegen; wird eine bestimmte Massengrenze überschritten, gibt es im Universum keine physikalische Kraft mehr, die der enormen Gravitation entgegenwirken kann. Astrophysikern der Goethe-Universität Frankfurt ist es nun erstmals gelungen, eine strenge obere Grenze für diese maximale Masse von Neutronensternen zu berechnen.
Mit einem Radius von ungefähr zwölf Kilometern und einer Masse, die doppelt so groß werden kann wie die der Sonne, zählen Neutronensterne zu den dichtesten Objekten im Universum. Ihre Gravitationsfelder sind mit denen von schwarzen Löchern vergleichbar. Während die meisten Neutronensterne eine Masse von ca. 1,4 Sonnenmassen haben, sind den Wissenschaftlern auch sehr massive Exemplare bekannt, wie der Pulsar PSR J0348+0432, der es auf 2,01 Sonnenmassen bringt.
Die Dichte dieser Sterne ist gigantisch: Sie entspricht der Masse des gesamten Himalaya Gebirges komprimiert in einem bayrischen Maßkrug. Es gibt jedoch Hinweise dafür, dass ein Neutronenstern, dessen Maximalmasse sich derjenigen eines schwarzen Lochs nähert, kollabieren würde, sobald man ihm auch nur ein einziges Neutron hinzufügt.
Physiker Prof. Luciano Rezzolla, Senior Fellow des Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) und Professor für theoretische Astrophysik an der Goethe-Universität, löste nun zusammen mit seinen Studenten Elias Most und Lukas Weih dieses seit 40 Jahren erforschte Problem: Innerhalb einer Genauigkeit von wenigen Prozent kann die Maximalmasse von nicht-rotierenden Neutronensternen nicht größer als 2,16 Sonnenmassen sein.
Die Grundlage für dieses Ergebnis bildete der vor ein paar Jahren in Frankfurt erarbeitete Ansatz „universelle Beziehungen“ herzustellen (https://aktuelles.uni-frankfurt.de/menschen/wann-kollabiert-ein-rotierender-neutronenstern/). Die Existenz „universellen Beziehungen“ impliziert, dass praktisch alle Neutronensterne „gleich aussehen“, so dass ihre Eigenschaften durch dimensionslose Größen ausgedrückt werden können. Diese Größen kombinierten die Wissenschaftler mit den Daten der Gravitationswellen und des darauf folgenden elektromagnetischen Signals (Kilonova), die im letzten Jahr während der Beobachtung von zwei verschmelzenden Neutronensternen durch das LIGO Experiment gewonnen wurden. Das machte die Berechnungen deutlich einfacher, da diese unabhängig von der zugrunde liegenden Zustandsgleichung sind. Die Zustandsgleichung ist ein theoretisches Modell für die Beschreibung von dichter Materie innerhalb des Sterns und enthält Informationen über die Zusammensetzung in verschiedenen Tiefen innerhalb des Sterns. Folglich war die Existenz einer solchen universellen Beziehung essentiell, um die neue maximale Masse bestimmen zu können.
Dieses Resultat ist ein gutes Beispiel für das Zusammenspiel zwischen theoretischer und experimenteller Forschung. „Das Schöne an theoretischen Studien ist, dass sie Vorhersagen treffen können. Die Theorie ist aber zwingend auf Experimente angewiesen, um einige ihrer Unsicherheiten zu minimieren“, sagt Prof. Rezzolla. „Es ist gerade daher so erstaunlich, dass uns die Beobachtung einer einzigen Neutronensternkollision, die sich Millionen von Lichtjahren entfernt ereignet hat, in Kombination mit theoretisch gefundenen universellen Beziehungen, ermöglicht hat, dieses Rätsels, über das schon so lange spekuliert worden ist, zu lösen.“
Die Ergebnisse der Studie wurden als Letter in „The Astrophysical Journal“ veröffentlicht. Einige Tage danach bestätigten auch Arbeitsgruppen aus Japan und den USA die Ergebnisse, obwohl sie bis dahin andere unabhängige Ansätze verwendeten.
Es ist wahrscheinlich, dass künftig mittels Gravitationswellenastronomie mehrere solcher Verschmelzungsereignisse beobachtet werden, sowohl in Form von Gravitationswellen als auch in traditionelleren elektromagnetischen Frequenzspektren. Dadurch lassen sich womöglich die Unsicherheiten in der maximalen Masse weiter reduzieren und somit auch das Verständnis von Materie unter extremen Bedingungen verbessern. Diese wird in modernen Teilchenbeschleunigern wie am CERN in der Schweiz oder bei FAIR in Deutschland simuliert.
Publikation:
Luciano Rezzolla, Elias R. Most, Lukas R. Weih: Using Gravitational-wave Observations and Quasi-universal Relations to Constrain the Maximum Mass of Neutron Stars, The Astrophysical Journal Letters, Volume 852, Number 2, http://iopscience.iop.org/article/10.3847/2041-8213/aaa401, DOI: 10.3847/2041-8213/aaa401
Weitere Informationen:
Prof. Luciano Rezzolla, Institut für Theoretische Physik, Campus Riedberg, Telefon: (069) 798 47871, rezzolla(at)th.physik.uni-frankfurt.de
Bildtext: Gravitationswellenemission während einer Neutronensternkollision