7. März 2022

Wie verknüpft das Gehirn Sinneseindrücke miteinander?

Neue Studie zeigt eine flexible Verarbeitung von sensorischen Reizen in der Grosshirnrinde

Die Fähigkeit des Gehirns Informationen zu speichern und zu verallgemeinern ist unglaublich komplex und vielfältig. Aber was passiert dabei auf der Ebene von Netzwerken aus Nervenzellen? In einer neuen Studie haben Wissenschaftler der Johannes Gutenberg Universität-Mainz (JGU) und des Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) herausgefunden, dass Aktivitätsmuster im Gehirn, insbesondere im auditorische Cortex, nicht so stabil sind, wie in der Vergangenheit angenommen. Diese Instabilität ist wichtig für die Verknüpfung von Sinneseindrücken.

Seit Langem geht man davon aus, dass sensorische Reize im Gehirn als Aktivitätsmuster spezifischer Gruppen von Neuronen dargestellt werden. Über deren langfristige Dynamik wissen wir jedoch noch relativ wenig. Jens-Bastian Eppler (FIAS) und Dr. Dominik Aschauer (JGU) untersuchten nun über mehrere Tage hinweg Aktivitätsmuster, die bei Mäusen durch Töne in der Grosshirnrinde ausgelöst wurden. Sie konnten zeigen, dass sich die Aktivitätsmuster selbst unter stabilen Bedingungen kontinuierlich neu zusammensetzen.

Dies ist eine überraschende Beobachtung, denn normalerweise würde man erwarten, dass der gleiche Ton letztendlich die gleichen Nervenzellen erregt, so wie wir bei der gleichen Abfolge von Noten auch die gleiche Melodie wahrnehmen. Dieses einfache Prinzip scheint für das Gehirn nicht zuzutreffen. Eine intrinsische Flexibilität bei der Verarbeitung von Sinneseindrücken führt dazu, dass über den Zeitraum von mehreren Tagen immer wieder andere Nervenzellen für die Verarbeitung rekrutiert werden. 

Im zweiten Teil der Studie wurde untersucht wie diese kontinuierlichen Dynamiken durch Lernvorgänge beeinflusst werden und wie neue Assoziationen zwischen verschiedenen gehörten Tönen entstehen können. Dazu wurde zusätzlich eine klassische Konditionierung durchgeführt. Die Mäuse lernten, ein Geräusch mit einem leichten elektrischen Schock zu verbinden. Durch diese Versuchsanordnung erhalten die Wissenschaftler*innen ein zuverlässiges Maß für das emotionale Gedächtnis der Tiere. Das Ergebnis: Es kommt zu einer Verzerrung der natürlichen Dynamik. Die Anzahl der Reize, die dieselbe Untergruppe von Neuronen aktivieren – und somit letztendlich miteinander verknüpft wurden – nahm deutlich zu. Die Tiere reagierten jetzt auch auf ähnliche Töne wie auf denjenigen, auf den sie konditioniert wurden, messbar als Reaktion sowohl im Gehirn als auch im Verhalten.

„Die lerninduzierte Plastizität – also die Anpassungsfähigkeit der Nervenzellen – führt zu einer Verknüpfung zwischen dem konditionierten Reiz und den nicht konditionierten Reizen. Unsere Ergebnisse zeigen nun, dass sie in die laufende Dynamik des Gehirns eingebettet ist und nicht auf ein ansonsten statisches Substrat wirkt, wie es lange angenommen wurde“ erklärt Prof. Dr. Matthias Kaschube. Sein Doktorand Jens-Bastian Eppler fügt hinzu:

 „Diese starke Generalisierung von unterschiedlichen Reizen können wir zum Beispiel auch bei Patient*innen mit posttraumatischen Störungen beobachten, wo auch ähnliche Geräusche zum traumatisierenden Geräusch eine Panikattacke hervorrufen können. Im Gegenteil dazu haben Patient*innen mit einer Autismus-Spektrum-Störung häufig Probleme solche verallgemeinernden Verknüpfungen zu erstellen und sind dadurch überfordert, wenn Situationen nicht zu 100% ihren gewohnten Gang gehen.“ 

Weitere Informationen:

Publikation:

Dominik F. Aschauer, Jens-Bastian Eppler, Luke Ewig, Anna R. Chambers, Christoph Pokorny, Matthias Kaschube, Simon Rumpel,

Learning-induced biases in the ongoing dynamics of sensory representations predict stimulus generalization,

Cell Reports, Volume 38, Issue 6, 2022, 110340,

https://doi.org/10.1016/j.celrep.2022.110340

Die Forschungsarbeit wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert.

Tierversuche:

Im Rahmen dieser Studie wurden Versuche mit Mäusen an der Universität Mainz und am Institut für Molekulare Pathologie, Wien, durchgeführt. Alle Tierversuche wurden nach den Richtlinien des österreichischen Versuchstiergesetzes für die Tierforschung durchgeführt und von der Wiener Magistratsabteilung 58 und dem Landesuntersuchungsamt Rheinland-Pfalz genehmigt.

Weitere Informationen zu den Tierversuchen an der JGU:

Tierversuche an der JGU


Mäuse Kaschube Publikation Generalisierung auditiver Kortex
Das Aktivitätsmuster im Gehirn, insbesondere im auditorischen Cortex, ist nicht so stabil, wie in der Vergangenheit angenommen. So hat das Team aus Frankfurter und Mainzer Wissenschaftler*innen unter anderem herausgefunden, dass Mäuse nach einer klassischen Konditionierung auch auf unbekannte Töne. reagieren, die denen ähneln, auf die sie ursprünglich konditioniert wurden..