9. Januar 2025
Wie Wirkstoffe leichter Membranen durchqueren
FIAS-Computersimulationen zeigen Weg in die Zelle für Medikamente
Wie Proteine das Durchqueren von Membranen erleichtern, zeigen Forschende des Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) mit Hilfe von Computersimulationen. Dies kann für Wirkstoffe ein wichtiger Weg sein, um in das Zellinnere vorzudringen, etwa zur Behandlung von Tumoren oder Autoimmunerkrankungen.
Die Zellmembran grenzt die Zelle von ihrer Umgebung ab und stellt für Teilchen aus der Umgebung eine Barriere dar. Sie erschwert beispielsweise das Eindringen unerwünschter Krankheitserreger wie Viren oder Bakterien. Andererseits müssen lebensnotwendige Moleküle wie Nährstoffe oder Medikamente die Zellmembran überqueren. Während es für manche Moleküle spezielle Transportsysteme gibt, müssen andere selbst einen Weg durch die Zellmembran finden. Im einfachsten Fall diffundieren die Teilchen durch die Membran, aber die wasserabstoßende Fettschicht in der Membranmitte ist schwer zu durchdringen.
Eine Möglichkeit, diese Energiebarriere beim Durchqueren der Membran erheblich zu verringern, konnte Cristina Gil Herrero, Doktorandin in der Arbeitsgruppe von FIAS-Fellow Sebastian Thallmair, nun aufklären: Ein Membranprotein, das unter anderem in Muskel-, Fett- und Nervenzellen vorkommt, der β2-Adrenozeptor, überbrückt die Fettschicht, wie sie mit Hilfe von molekularen Simulationen zeigte. Der β2-Adrenozeptor reduziert für zwei der untersuchten Wirkstoffe die Barriere um erstaunliche 60 Prozent. Beides sind Arzneistoffe, die die Bronchien entspannen und erweitern und daher bei Lungenerkrankungen wie Asthma eingesetzt werden.
Für diese Wirkstoffe reicht es, bis an die Membran vorzudringen, um ihre gewünschte Wirkung zu entfalten. Die ebenfalls untersuchten Kinasehemmer müssen in die Zelle gelangen, um dort die Enzyme zu beeinflussen, die eine wichtige Rolle in der Zellregulierung und dem Energiestoffwechsel spielen. Kinasehemmer werden unter anderem in der Tumor- und Immuntherapie eingesetzt. Daher sind die Beobachtungen bei den untersuchten Kinasehemmern höchst spannend für zukünftige Medikamentenstudien, da sie einen bisher nicht berücksichtigten Weg zur Durchquerung der Zellmembran zeigen.
Die FIAS-Forschenden nutzen ausgefeilte Simulationsmodelle, die beispielweise Membranfunktionen nachahmen. Dazu bauen sie Moleküle aus Lego-ähnlichen Bausteinen zusammen. Die Simulationen in einer virtuellen Box folgen den Gesetzen der Physik. Dabei fiel den Forschenden auf, dass die Wirkstoffe in Anwesenheit des β2-Adrenozeptors häufiger die Membran durchqueren. Dies weckte ihre Neugier, die Rolle des β2-Adrenozeptors näher zu untersuchen.
Die Simulationen verdeutlichen, wie kompliziert es ist, das Durchqueren von Membranen durch Wirkstoffe vorherzusagen, da diese mit unzähligen Proteinen in der Membran wechselwirken. So könnten andere Proteine oder Lipide den Zugang auch erschweren. Die Erkenntnisse der Forschenden des FIAS können helfen, Wirkstoffe zu entwickeln, die leichter die Barriere der Zellmembran überqueren und so schneller in den Blutkreislauf und möglicherweise sogar über die Blut-Hirn-Schranke gelangen.
„Mit Hilfe von Computersimulationen möchten wir weitere Proteine identifizieren, die ein ähnliches Verhalten wie der β2-Adrenozeptor zeigen“, beschreibt Sebastian Thallmair die weiteren Projektziele. „So hoffen wir, ein vollständigeres Bild über die Komplexität der Membrandurchquerung von Wirkstoffen zu erhalten.“
Publikation:
Cristina Gil Herrero, Sebastian Thallmair, G-Protein-Coupled Receptor Surface Creates a Favorable Pathway for Membrane Permeation of Drug Molecules, J. Phys. Chem. Lett. 15, 12643 (2024), https://doi.org/10.1021/acs.jpclett.4c02875.